Der 1969 geborene Autor Jörn Ranisch alias Yoran Nesh alias Pfeffi beschreibt in diesem autobiografischen Werk seine bewegte Lebensgeschichte bis zum Lebensalter von 37 Jahren.
Bevor man jedoch dieses Buch zu lesen beginnt, sollte man sich einen kleinen Überblick zum Krankheitsbild der Mukoviszidose, an der Ranisch leidet, verschaffen. Hierbei handelt es sich um eine angeborene, genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung, die sich insbesondere durch Symptome wie u.a. chronischer Husten, Lungenentzündungen, Lungeninsuffizienz, Atemnot, chronischer Sauerstoffmangel, mangelnde Gewichtszunahme, Funktionsstörungen von Darm und Bauspeicheldrüse und Diabetes auszeichnet.
Aufgewachsen in Greifswald, gelegen im Norden der ehemaligen DDR, verschlug es Ranisch ab 1986 nach Gotha im Rahmen seiner Ausbildung zum Kartograph. In dieser Zeit entwickelte sich der Kontakt zur „schwarzen Szene“, die - wie auch das Krankheitsbild der Mukoviszidose - das bisherige Leben des Autors prägte und der Ranisch heute noch zugehörig ist. Insbesondere für Kenner bzw. nachfolgende Generationen der Szene ist es spannend zu erfahren, wie sich diese Subkultur zu Zeiten der DDR herausgebildet hat, gab es doch innerhalb der verschlossenen sozialistischen Weltanschauung keine Toleranz für Antibewegungen und über dies nicht die Möglichkeiten, an eine derartige musikalische Bandbreite der Gruftiebewegung heranzukommen, geschweige denn das gewünschte Material und ausgewählte Accessoires für das unbunte Styling zu beschaffen. Insofern war viel Kreativität gefragt, die auch heute noch charakteristisch für das Schaffen des Autors ist.
Mit dem Ende der DDR und der politischen Wende veränderte sich auch für Ranisch das Leben, es bedeutete fortan Freiheit, erleben, ausleben, experimentieren und nach wie vor gesundheitliche Grenzen. Ranisch portraitiert in dieser Zeit seine Adoleszenz im westlichen Weltbild, sein sich gegen gesellschaftliche Konventionen stellendes Ich, dass durch „unbunte“ anarchistische Optik, das zeitweise Leben in einem besetzten Haus und das sich „irgendwie durchschlagen“ geprägt war. Bemerkenswert über den Verlauf der Autobiografie ist der Umgang mit seiner Krankheit, die ihn trotz aller Erschwernisse und düsteren Gedanken dennoch nicht aufgeben lies. Dies und die herrlich umgangssprachliche, mit Ironie und Sarkasmus gespickte, ehrliche und offene Erzählweise, insbesondere was seine Promiskuität angeht, lassen einen beim Lesen sehr oft schmunzeln, gar lachen, etwas dass man klischeebedingt von einem Gruftie nicht erwarten würde, wenn man den Titel des Werkes liest.
Das Erwachsenwerden, neue Wege gehen, die sexuelle Freiheit leben, die Leidenschaft am anders sein und insbesondere die politische Haltung bestimmen die weiteren Lebensjahre, welche ihn ab 1995 nach Berlin verschlagen. Immer wieder schildert er die Szene, wie sie wirklich ist: gebildet, kreativ, hinterfragend, tolerant und ja humorvoll, Eigenschaften die zugegebener Maßen nicht auf alle aber auf viele Szeneangehörige zutreffen. Einen weiteren Schwerpunkt in den Lebenserfahrungen bildet der politisch linke Standpunkt von Ranisch, der die Auseinandersetzungen mit Rechtsradikalen und der Polizei im Rahmen diverser Demonstrationen nach sich zieht. So erinnert Ranisch auf seine Weise insbesondere an die Vielzahl der rechtsextremistischen Gewalttaten in den neuen Bundesländern in den 90ern, die einem auch als Gruftie abenteuerliche Szenen auf den Straßen bescherte; eine Zeit, die wohl leider schon etwas in Vergessenheit geraten ist und die von ihm zurecht angemahnt wird.
Sein offenherziger Umgang mit seinem Leben und dem diverser Protagonisten aus seinem damaligen Beziehungs-, Freundes- und Bekanntenkreis stieß nicht allseits auf Zustimmung, was das nachträglich erforderliche Schwärzen einiger Textpassagen beweist. Ranisch´s Lebensgeschichte ist spannend hedonistisch, man könnte meinen wie aus einem Drehbuch für einen Jugendfilm, und gibt daher in vielen Bereichen Anstoß zum Nachdenken. Insofern ist dieses Werk, erschienen beim Berliner Archiv der Jugendkulturen e.V., hier in bester Begleitung mit weiteren jugendsubkulturellen Darstellungen, die insbesondere auch im Rahmen des Projektes „culture on the road“, bei dem Ranisch mitwirkte, Jugendlichen politisches Wissen im Alltag und Jugendkulturen im Austausch vermitteln. Ranisch ist der Beweis dafür, das anders sein, nicht nur auf die Phase der Adoleszenz beschränkt ist, sondern auch eine nachhaltige Lebensweise bzw. - einstellung bedingen kann, die er mit seinen Worten „Es gibt einfach keine schönere Alternative für mich. Ich bin der kleine Tod in Springerstiefeln, le petit mort …“ beschließt. Heutzutage konzentriert sich Ranisch insbesondere auf die „Dark-Erotic-Photography“, mit der er seine Leidenschaft für das weibliche Geschlecht bebildert. Und liebe Leserinnen: Ranisch´s Geschichte lässt einen so manches männliche Verhalten (gleichwohl natürlich nicht auf alle Herren zutreffend) mit einem Augenzwinkern verstehen.
Bibliographische Angaben
Jörn Ranisch: le petit mort - Sex & Drugs & Mukoviszidose - Die Geschichte eines Grufties. Herausgeber: Archiv der Jugendkulturen e.V. Berlin. Archiv der Jugendkulturen Verlag KG. 2007.
ISBN 978-3-940213-38-9. 432 Seiten. 18,00 €
URL
http://www.jugendkulturen.de
http://www.culture-on-the-road.de
http://www.yoran-nesh.com
© s.an, Mai 2011